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Engel zu Landow

Eröffnungsrede Hille von Seggern, 13.6.2010| LesenSchließen

Eröffnung der Installation »Engel zu Landow« von Timm Ohrt und Hille von Seggern
im Rahmen des Festes zur Vereinsgründung »Freundeskreis Kirche zu Landow«
Liebe Gäste, die Sie gekommen sind, um das Fest der Vereinsgründung »Freundeskreis Kirche zu Landow« zu feiern – oder zu begehen, wie man bei Festen sagt: Ein Fest gemeinsam begehen, das passt zu den Bewegungen des heutigen Tages.
Wir, Timm Ohrt und ich, Hille von Seggern, freuen uns und sind sehr dankbar, dass wir diese Engel hierherbringen durften! Und wie schön, dass der Verein ein Fest mit Musik, Reden, Kunst, Kaffee und Kuchen, Spiel, Tanz und Gespräch macht – so rund soll sich Kunst ab zu mit der Kunst, ein Fest zu feiern zu einem einzigen Geschehen verweben. So sind unsere Installationen immer mit Situationen gedacht.
Dank also an Christina und Carsten Zillich, die uns fragten: »Ihr macht doch Installationen, für Innenräume und für Freiräume, für Drinnen und Draußen und Ihr mögt Landschaften – wollt Ihr nicht für die Kirche zu Landow etwas machen?«.
Das war für uns der Anstoß zum Nachdenken. Wie Sie vielleicht schon in der Ostsee – Zeitung gelesen haben, entstand dann die Idee per SMS: Ich saß im Zug – Timm ging im Bergpark in Kassel spazieren – zwei gute Weisen unterwegs zu sein, ein Unterwegssein das Kreativität fördern und Ideen hervorzaubern hilft: Kirche? Zu Kirchen gehören Engel. Klar – früher – aber heute? Was sind heutige Engel? Heutige Idealfiguren? Schaufensterpuppen? Models? So ging das hin und her in dieser verkürzten SMS-Sprache. Wollten wir nicht schon lange mit Schaufensterpuppen arbeiten? Verkörpern sie, die Puppen und Models nicht die große Sehnsucht nach Glück, dem wahren Leben, nach dem Eigentlichen, dem Schönen – fast Göttlichen? Denk an die Jungen, die Älteren wie sie die Schaufensterpuppen angucken, oder an den Raum den die Berichterstattung über Models in den Medien einnimmt. Sind die Puppen nicht Avatare? (wie Hinderk Emrich in »Was Avatare und Engel uns sagen können« ausführte: künstliche von Menschen erdachte Idealfiguren. )Kann man sie in Engel verwandeln?
»Ja«, sagten wir »wir werden drinnen in der Kirche und draußen vor der Kirche Engel installieren!« Der Verein sagte dann »Ja« zu unserer Ideenskizze. Dank dem Verein also auch noch mal an dieser Stelle! Wenn so eine Idee erst einmal geboren ist, bestimmt sie alles weitere – das kennen Sie sicher: überall waren und sind Engel. Wir hatten uns eine Schaufensterpuppe besorgt und experimentierten mit ihr in unserem Atelier (Sie können das auf den Postkarten, die in der Kirche liegen sehen) Wie werden sie zu Engeln? Schwebend! Waagerecht schwebend. Flügel? Nein. Welche Kleidung? Welche plastische Gestalt? Große Tücher mit üppigem Faltenwurf. Welche Farben? Eine? Krasser Kontrast? Eine Farbe oder verschiedene? Verschieden und leicht glänzend. Anmalen? Nein. Aber verschiedene Hautfarben und ein Engel wird ganz dunkel. Das haben wir unserem Freund Jedi versprochen. Spuren des Gebrauchs, des vorherigen Daseins entfernen? Nein. Was ist die Geschichte hinter den Engeln? Ich glaube der Literaturwissenschaftler Hubertus Fischer war der Erste, der uns auf die Taufengel des 18. Jahrhunderts aufmerksam machte. Vor allem im norddeutschen Raum findet man sie. Auf Rügen allein sieben. Das gefiel uns: Engel als Symbole der Vermittlung, der Verbindung zwischen dem Göttlichen und den Menschen. Speziell die Taufengel sind oft so schwere Figuren, so menschlich und doch schwebend; die unsichtbaren Engel sichtbar machen, die Berührung zum Greifen nah – und zwar für jeden Tag für den Alltag wie für den Sonntag. Das Büchlein von Hinderk Emrich »Was Avatare und Engel uns sagen können« fiel uns wieder ein – die Wandlung, die der Dichter Rainer Maria Rilke durch die Begegnung mit den Engeln von El Greco erfuhr – und die zu wundervollen Gedichten führte - bis hin zum Film »Avatar«, in dem es um die Begegnung mit dem richtigen, dem wahren Leben geht. Und wie immer bei Avataren geht es um die Frage, ob Avatare in diesen Begegnungen zu Zugehörigen werden können.
Wir, Timm und ich, haben eine glückliche Zeit hier in der wunderbaren Kirche, der wunderbaren Landschaft und im gastfreundlichen Haus der Zillichs verbracht – ein Geschenk! Dass wir so in Ruhe an der Wandlung der Puppen in Engel arbeiten durften! Natürlich hat die Arbeit auch all unsere handwerklichen Fähigkeiten gefordert, das Schiffs- und Seglerwissen von Timm, das Zimmermannswissen von Carsten Zillich – bis zu meinen Nähkenntnissen – und die Liebe zum Provisorischen und die Entscheidung in der Situation. Immer wieder waren wir plötzlich berührt und haben bei Besuchern der Kirche gesehen, wie Staunen, Lachen, Stille, Scherz und auch Feierlichkeit entstand. Die Engel konnten ihre verschiedenen Funktionen/Rollen entfalten.
Wenn unsere Engel heute im festlichen Rahmen und dann im Laufe des Sommers ab und zu so ein Lächeln, solch Berührung, Freude oder heftige Abwehr oder Nachdenken hervorrufen würden – das wäre schön! Das wünschen wir Ihnen und uns.
Hille von Seggern und Timm Ohrt